In der Sammlung des Hunterian Museum and Art Gallery der Universität Glasgow (GLAHA 53127, s.d.) gibt es eine sehr interessante, von Charles Rennie Mackintosh signierte Illustration (möglicherweise ein Werk von Margaret MacDonald?). Die Worte im oberen Bildbereich helfen dabei, die Bedeutung der Illustration zu erkennen, da es die letzten Worte sind, die Apollo zu Daphne sagt, nachdem er sie geküsst hat. Dies war meiner Meinung nach eine Inspiration für Gustav Klimts «Der Kuss».

«[…] Kaum ist die Bitte ausgesprochen, befällt eine schwere Starre die Glieder, die weiche Brust wird von zartem Bast umschlungen, die Haare werden zu Laub, die Arme zu Zweigen, der eben noch so flinke Fuß bleibt in zähen Wurzeln stecken, das Gesicht trägt einen Baumwipfel: Es bleibt ihr als letzter Rest von Schönheit.
Auch so liebt sie Phoebus und seine rechte Hand, die er an den Stamm gelegt hat, spürt noch immer das Herz unter der frischen Rinde beben. Nachdem er die Zweige wie Glieder mit seinen Armen umfangen hat, gibt er dem Holz Küsse; das Holz freilich weicht den Küssen aus.
Der Gott sprach zu ihr: Auch wenn du nicht meine Geliebte sein kannst, so wirst du doch sicher mein Baum sein. Immer wird dich, Lorbeer, unser Haar tragen, unser Saitenspiel, unser Köcher.
Du wirst bei den latinischen Heerführern sein, wenn eine frohe Stimme den Triumph besingt und die Tempel des Kapitols lange Festzüge sehen.» (Ovid, Metamorphosen).
In der Illustration von Charles sehen wir, dass Apollo und Daphne sich auf die Lippen küssen, die Lorbeerblätter in Dreiecken und auch ihren linken Arm, der von seiner Schulter hängt. Unter der Erde befindet sich ein aus Quadraten bestehendes Quadrat (ein Mackintosh-Symbol), das als das Herz von Charles verstanden werden kann. Das Herz von Charles ist der Keim der Verwandlung, wenn wir den Worten des Canzoniere von Petrarca folgen, der den Mythos nutzt, um auch Apollo zu verändern, indem er ihn in einen Lorbeerbaum verwandelt, um mit seiner Liebe Laura (id. est. Lorbeer) zusammen zu sein. An dieser Stelle der Literatur – Petrarca – wird die Ikonographie der Verfolgung in die der Liebe geändert und der Kuss erhält eine andere Bedeutung. So war der erste Name des Kusses von Gustav Klimt „Liebespaar“.
In Bezug auf diese erwähnte Illustration der Glasgower Künstler gibt es eine Zeichnung von Klimt (1904-1907, Museum der Stadt Wien), die wir als vorbereitend für „den Kuss“ betrachten. Es ist sinnvoll, die Position des Kopfes in beiden Werken zu vergleichen. Für uns ist klar, dass die Zeichnung von Klimt in der erwähnten Illustration durch einige interessante Details inspiriert ist: Man kann erkennen, dass ihr Arm in Klimts Zeichnung zu einem Ast wird. Abschließend fügen wir einen Vergleich der Details der drei besprochenen Bilder bei: die Illustration von Charles, die Zeichnung von Klimt und «Der Kuss».


Petrarca verschmilzt in der Canzoniere mythisch mit Apollo und schreibt, dass er ebenfalls zu einem Lorbeer wird (wie Daphne), um mit seiner Geliebten Laura (Alter Ego des Lorbeers) zusammen zu sein. Dies wird als mythische Verschmelzung von Petrarca mit Apollo bezeichnet.
Dieser Ikonographie folgend zeigt die Grußkarte von Charles und Margaret aus dem Jahr 1900 Charles in einen Lorbeer verwandelt: Seine Arme sind Äste und sein Kopf die Spitze des Baumes. Charles Herz ist begraben, weil es der Samen der Verwandlung in Lorbeer ist. Gleichzeitig ist Charles Herz an sie gekettet, die ihn küsst. All dies stammt aus Petrarcas Schriften. Ein Motiv, das von Apollo und Daphne, wird gemäß der Renaissance-Version von Petrarca gelesen, die Gustav Klimt in „Der Kuss“ inspirierte. Die Grußkarte erschien in der Secessionszeitschrift „Ver Sacrum“, 1901, Heft 23. Sie war also offensichtlich Klimt bekannt.
